Verluste bei Mutterkühen durch Weideemphysem

Die feucht-warme Witterung der letzten Wochen führte zu einem beschleunigten Weideaufwuchs, so dass zurzeit insbesondere in der Mutterkuhhaltung das üppig nachwachsende Grünland als ausschließliche Futtergrundlage reichhaltig zur Verfügung steht. Dies birgt die Gefahr des Auftretens des sogenannten Weideemphysems, das bevorzugt bei Mastrindern mit Kälbern bei Fuß – seltener bei Milchkühen – zu akuten Todesfällen führt. Dr. Wilfried Adams und Dr. Martin Pries, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, berichten.

Nach derzeitigem Kenntnisstand scheint die botanische Zusammensetzung des Aufwuchses von untergeordneter Bedeutung zu sein.

In einem gut geführten Mutterkuhbetrieb im Einzugsgebiet der Landwirtschaftskammer NRW wurden in den letzten Tagen etwa 14 Tage nach Weidewechsel im Abstand von zwei bis drei Tagen zwei ältere Mutterkühe tot auf der Weide angetroffen. Ein drittes Tier verendete trotz tierärztlicher Behandlung wenige Tage später, wobei klinisch Atemwegsprobleme, charakterisiert durch Kurzatmigkeit bei vermehrt serösem bis leicht eitrigem Nasensekret, gekoppelt mit vermehrter Schaumbildung im Maulbereich, im Vordergrund standen.

Unverzüglich durch den Tierarzt eingeleitete virologische Untersuchungen auf BHV-1, BRSV, das Bovines Respiratorisches Syncytial Virus, das man auch als Sprengsatz in der Lunge bezeichnen kann und Blauzunge  - Befund: Antikörper positiv, Antigen- beziehungsweise Virusnachweis negativ - ergaben keine Anhaltspunkte für ein infektiöses Geschehen. Der Betriebsleiter hatte lediglich die Kälber gegen Blauzunge aktiv immunisieren lassen, da er korrekterweise davon ausging, dass die älteren Rinder sich im Vorjahr mit dem Erreger intensiv auseinandergesetzt hatten und nun aufgrund der Feldvirus-AK mehrheitlich geschützt seien.

Bei einer Weidebegehung durch den Tierbesitzer und den Rindergesundheitsdienst der Landwirtschaftskammer NRW wurde die Randbepflanzung der Weide näher untersucht. Es wurden lediglich für Rinder nichttoxische Schlehen und minimal Jakobskreuzkraut festgestellt. Beim Rind liegt die tödliche Dosis beim Jakobskreuzkraut bei 140 g Frischgewicht je Kilo Körpergewicht; eine dadurch bedingte akute Senecio-Vergiftung konnte man auf Grund des geringen und vom Besitzer auch bestätigten marginalen Vorkommens dieser Alkaloid-haltigen, gelbblühenden Pflanze als Verlustursache ausschließen.

Bei einer zusätzlich eingeleiteten parasitologischen Untersuchung von zehn Kotproben auf Lungenwurmlarven ließ sich lediglich ein geringgradiger, nicht behandlungswürdiger Befall mit Magen-Darm-Wurm-Larven nachweisen. Die Mutterkühe werden zweimal jährlich mit einem Avermectin im Pour-on-Verfahren entwurmt.

Bei der Sektion einer Kuh im zuständigen Veterinäruntersuchungsamt fand man hochgradige, schon mit bloßem Auge erkennbare, blasige Lufteinschlüsse im Lungengewebe und Blutungen im unteren Bereich der Auskleidung der Luftröhre. Eine bakteriologische Untersuchung des Lungenparenchyms verlief negativ. Bei der feingeweblichen Untersuchung wurden ebenfalls Befunde erhoben, die für das Weideemphysem sprechen.

Das Weideemphysem wird hervorgerufen durch das insbesondere im schnell wachsenden Aufwuchs verstärkt vorkommende L-Tryptophan. Tryptophan ist als lebensnotwendige Aminosäure Bestand des Proteins im Grasaufwuchs. Es wird in den Vormägen umgebaut und gelangt nach Resorption über die Schleimhäute in die Lunge, wo es als Metabolit die Auskleidung der kleinen Lungengefäße und der Luftbläschen schädigt.

In Übereinstimmung zum Vorbericht sind ältere und schwerere Tiere besonders häufig betroffen. Etwa 3 % der weidenden Tiere können betroffen sein; rund ein Drittel der erkrankten Tiere verendet trotz Behandlung.

Betroffene Tiere zeigen eine akut auftretende, extreme, lebensbedrohliche  Atemnot. Husten, der bei Weidegang meistens charakteristisch für Lungenwurmbefall ist, wird nicht beobachtet. Auffällig sind die betroffenen Tiere durch starken Speichelfluss und mitunter durch seitlich am Hals auftretende Luftansammlungen unter der Haut, bei denen knisternde Geräusche beim Betasten typisch sind.

Zur Behandlung setzt der Tierarzt entzündungshemmende und schmerzlindernde Präparate ein. Die Ausheilung einer derartig geschädigten Lunge beansprucht einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen. Antibiotika können im Einzelfall Sekundärinfektionen verhindern.

Die Erkrankungen an Lungenemphysem treten vorwiegend in der zweiten Vegetationshälfte nach Auftrieb auf saftige Herbstweiden auf, weshalb sich in der älteren Literatur auch der Begriff Nachmahdkrankheit für dieses Geschehen findet. Hieraus ergibt sich die Forderung, gerade in dieser Zeit nach Umtrieb auf frische Weideflächen die Tiere besonders intensiv während der ersten 14 Tage zu beobachten. Durch die Zufütterung von Silagen, Heu oder Kraftfutter wird die Aufnahme von jungem Weidegrases reduziert, was ebenfalls eine Entlastung bewirkt. In Verdachtsfällen sollte unverzüglich ein Weidewechsel auf eine Fläche mit älterem Aufwuchs vorgenommen werden.

Autor: Dr. Wilfried Adams und Dr. Martin Pries