Von Kuh und Kalb lernen - offene Potentiale nutzen

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Das Verhalten von Kühen und Kälbern stand im Mittelpunkt einer Vortragsveranstaltung, die am 16. Oktober 2014 in Haus Riswick stattfand und an der rund 70 Landwirte und Berater aus Deutschland und den Niederlanden teilnahmen. Wie sich intensive Tierbeobachtung gewinnbringend nutzen lässt erläutert Christian Wucherpfennig von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.

„Wachstum und Intensivierung in der Milchviehhaltung hat zu einer Ausweitung der ganzjährigen Stallhaltung geführt“, erklärte Dr. Sebastian Hoppe vom Versuchs- und Bildungszentrum Landwirtschaft Haus Riswick einleitend, so dass die Anforderungen an die Tiergerechtigkeit im Stall gestiegen seien. Das Verhältnis von gehaltenen Kühen zu Liegeplätzen sollte 1:1 sein. „Das gewährleistet arteigenes, synchrones Verhalten und schützt rangniedrige Tier vor Verdrängung aus der Liegebox“, begründete Hoppe seine Ansicht. Nur so sei eine optimale Liegedauer von 50 Prozent des Tages zu erreichen.

Natürlich stelle die Liegebox immer einen Kompromiss zwischen Tiergerechtigkeit und Arbeitseffizienz dar. „Aber die Abmessungen müssen sich schon an den Bewegungsabläufen der Kuh orientieren“, betonte Hoppe. Eine bequeme Liegebox mit hoher Liegedauer führt zu trocknen Klauen, zur Entlastung der Gelenke sowie erhöhter Wiederkautätigkeit.

Für Prof. Nina von Keyserlingk steht die gesunde Kuh im Fokus der Forschung. Die Vorgehensweise ihrer Forschungseinrichtung an der Universität Vancouver in Kanada demonstrierte von Kesyerlingk an der frühzeitigen Erkennung von Metritis (Gebärmutterentzündung). Dabei wurde untersucht, wie viel Futter Kühe jeweils in der Zeit um die Geburt aufgenommen hatten, wenn sie anschließend zu Beginn der Laktation gesund oder an milder bzw. starker Metritis gelitten haben. (Anschließend) gesunde Kühe nahmen 15 bis 16 kg Trockenmasse täglich auf und reduzierten die Aufnahme lediglich einen Tag vor der Kalbung und fraßen nach der Geburt schnell wieder große Mengen. Kühe mit milder Metritis reduzierten die Futteraufnahme schon drei bis vier Tage vor der Geburt und Kühe mit schwerer Metritis sogar schon sieben Tage vorher.

„Wir haben beobachtet, dass anschließend kranke Kühe weniger dominant sind und sich häufiger vom Fressgitter wegstießen ließen“, erklärte von Kesyerlingk die Gründe für die unterschiedliche Futteraufnahme. Die Folge sind bis zu 10 kg weniger Milch täglich in einem Zeitraum von etwa 20 Wochen.

„Wenn man es einrichten kann, sollte man Tiefboxen nehmen“, betonte von Keyserlingk. Mittels Präferenztests kann festgestellt werden, welche Systeme Kühe bevorzugen. „Ein Präferenztest ist aber nur aussagekräftig, wenn die Tiere mit beiden Systemen schon Erfahrung hatten“, schränkte von Keyserlingk ein.

Großen Wert legt von Keyserlingk auf die Boxenpflege. „Bei Sandeinstreu bilden sich schon nach kurzer Zeit Löcher und Kuhlen“, warnte die kanadische Referentin. Je cm tieferes Loch sinkt die durchschnittliche Liegedauer um 10 Minuten. Boxen sollten daher täglich gepflegt werden.

Wie Haus Riswick verfügt die kanadische Versuchseinrichtung über Einzelwiegetröge zum Ermitteln der täglichen individuellen Futteraufnahme der Kühe. Damit konnte festgestellt werden, dass umgruppierte Kühe in den ersten Tagen weniger fressen und wiederkauen und demzufolge auch weniger Milch geben. „Wir empfehlen daher so viel Platz wie möglich, um solche Situationen abzufedern.

Die Gestaltung der Abkalbebox richtet sich nach den Bedürfnissen der Kühe. „Einerseits wünschen die Kühe weiter den Kontakt zur Herde, andererseits haben sie das Bedürfnis sich zurückzuziehen“, formulierte von Keyserlingk Anforderungen an eine geeignete Abkalbebox. Als gut geeignet erweist sich daher eine Box, die sowohl offene Wände als auch geschlossene, sichtgeschützte Ecken aufweise. Mittels Präferenztest konnte dabei auch festgestellt werden, dass Sand als Einstreumaterial von den Tieren bevorzugt wird.

Prof. Nina von Keyserlingk empfindet die Kälberhaltung als „superinteressanten Forschungsbereich“, denn bisher sei der Bereich forschungsmäßig (in Kanada) vernachlässigt worden. Dabei hat man beobachtet, dass Kälber, die bis etwa 14 Tage nach der Geburt bei der Mutter blieben rund 16 kg schwerer waren als die direkt nach der Geburt von ihren Müttern getrennten Kälber. Dabei saufen die Kälber fünf- bis zehnmal am Tag und trinken bei jeder Mahlzeit jeweils fünf bis zehn Minuten, was zu einer täglichen Aufnahme von 10 kg Milch führe. „Wenn Kälber, die nur zweimal täglich zwei Liter Milch bekommen, häufig schreien, machen sie dies vor allem weil sie hungrig sind“, betonte von Keyserlingk, die eine tägliche Milchmenge von etwa 20 Prozent des Körpergewichts in den ersten 25 Lebenstagen für angemessen hält. „Während dieser Zeit nehmen die Kälber praktisch kein Kraftfutter auf, aber wenn man die Milchgaben senkt, fressen sie genauso viel wie die Tiere, die weniger Milch bekamen“, erklärte von Keyserlingk. Wie in Deutschland hat man auch in Kanada die Erfahrung gemacht, dass in den ersten Lebenswochen intensiv mit Milch versorgte Kälber später deutlich mehr Milch geben.

Die Vorteile eine Gruppenhaltung gegenüber eine Einzelhaltung konnten in Kanada eindeutig belegt werden. „Gruppenhaltung steigert beispielsweise die Aufnahme von Kraftfutter nach dem Absetzen und der Absetzstress fällt geringer aus“, nannte von Keyserlingk als Vorteile. Länger einzeln gehaltene Kälber sind beim Zusammenstallen nur auf die Artgenossen fixiert und erkunden nicht ihre Umgebung. „Einzeln gehaltene Kälber fraßen zwei Tage nicht, während Kälber aus Gruppenhaltung schon nach neun Stunden anfingen zu fressen“, sagte von Keyserlingk. Erst nach zwei Wochen erreichten die Tiere die gleiche Futteraufnahme. Problematisch sei bei Gruppenhaltung jedoch die rationierte Milchgabe. „Bei rationierter Fütterung blockieren einzelne Kälber die Station, weil sie immer wieder probieren etwas zu bekommen“, wusste die Referentin zu berichten. Der Stress nach dem Absetzen von der Milch könne gemildert werden, indem man zunächst die Milch absetze und erst einige Tage später auch die Nuckel wegnehme.

„Tiergerechtigkeit ist mehr als funktionierende körperliche Funktionen“, stellte Julia Glatz von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen zu Beginn ihrer Ausführungen fest. „Dazu gehört, dass Verhaltensmuster möglichst wenig eingeschränkt und die Anpassungsfähigkeit nicht überfordert wird.“ Das Verhalten auf der Weide könne dabei gut als Referenz herangezogen werden, was sich an der Schrittlänge gut demonstrieren lasse: Wenn der Hinterfuß beim Laufen in den Vorderfuß trete passe es und dokumentiere eine gute Lauffläche. Die Akzeptanz der Liegeboxen lasse sich drei Stunden nach der Futtervorlage am besten ermitteln.

Mittels zahlreicher Bilder demonstrierte Glatz, an welchen Verhaltensweisen man zufriedene Kühe erkennen kann. „Ein gesenkter Kopf beim Laufen zeigt an, dass etwas nicht in Ordnung ist“, berichtete Glatz. Das könne beispielsweise ein Hinweis auf glatte rutschige Laufflächen sein. Beim Liegen strecken Kühe gerne ihr Vorderbein aus, was das Bugbrett in der Liegebox aber auch zulassen müsse. In dem Programm „Cows and more“ (siehe unten) wurden verschiedene Schadensklassen für Technopathien festgelegt, um Beeinträchtigungen objektiv bewerten zu können. „Dabei hilft auch ein Blick von außen“, empfahl Glatz. Dabei könnten sowohl Berufskollegen als auch erfahrene Berater hilfreich zur Seite stehen.

Beeindruckend ist die Präzision, mit der in Kanada die Versuche durchgeführt werden. Ebenso beeindruckend waren die Sprachkenntnisse von Prof. Nina von Keyserlingk, die ihre Vorträge in absolut perfektem Deutsch vortrug und auf Fragen vollendet pointiert antworten konnte. Inhaltlich zeigen sich viele Übereinstimmungen aber gelegentlich auch Unterschiede in der Bewertung von Haltungsverfahren. Ein Blick über die Landes- und in diesem Fall sogar Kontinentgrenzen erwies sich in jedem Fall als außerordentlich lehrreich für alle Anwesenden.

Optimierung der Nackenrohrgestaltung bei Milchkühen

Zu niedrig eingestellte Nackenrohre stören Milchkühe beim Abliegen in der Liegebox und führen zudem dazu, dass die Tiere nicht weit genug in die Box hineingehen und demzufolge häufig mit den Hinterbeinen im nassen Laufgang stehen. Fehlt hingegen eine ausreichende Steuerung der Kühe durch den Nackenriegel wächst die Gefahr der Verschmutzung der Boxen mit nachfolgenden Euterproblemen. Haus Riswick führte daher einen Versuch mit zwei unterschiedlichen Nackenriegeln durch, der von Dr. Sebastian Hoppe vorgestellt wurde. In dem Versuch mit jeweils 24 Kühen mit einer Widerristhöhe von 144 cm kamen zwei unterschiedliche Nackenriegel zum Einsatz. Der gerade Nackenriegel wies eine Höhe von 123 cm und der gewölbte Nackenriegel 141 cm auf. Die mittige Anordnung der Wölbung soll zur Steuerung der Kuh beitragen.

Beim Liegeverhalten konnten keine Unterschiede zwischen den Varianten ermittelt werden. „Zwei Stunden nach der Fütterung lagen jeweils etwa 58 Prozent der Kühe in den Boxen“, freute sich Hoppe. Erwartungsgemäß war der Anteil der mit den Hinterbeinen im Laufgang stehenden Kühe bei gewölbtem Nackenriegel mit sechs Prozent niedriger als beim geraden Nackenriegel (8 Prozent). „Wir beobachteten jedoch bei der Variante mit gewölbtem Nackenriegel eine etwas höhere Verschmutzung sowohl im mittigen als auch im seitlichen Bereich der Box“, berichtete Hoppe. Den deutlich geringeren Kontakt mit dem Nackenrohr wertet er als Indikator für mehr Tierkomfort. Für die Zukunft ist geplant das gewölbte Nackenrohr etwas niedriger zu hängen und es etwa 10 bis 15 cm niedriger auszurichten als die Widerristhöhe der größten Kühe.

Beim gewölbten und damit höheren Nackenriegel konnten auch große Kühe bequem mit beiden Beinen in der Box stehen.

Beim gewölbten und damit höheren Nackenriegel konnten auch große Kühe bequem mit beiden Beinen in der Box stehen.

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Beim geraden und damit niedrigeren Nackenriegel standen mehr Kühe mit den Hinterbeinen im Laufgang.

Mit dem Beratungswerkzeug „Cows and more – Was die Kühe uns sagen!“ hat die Landwirtschaftskammer Nordrhein - Westfalen ein digitales Beratungsinstrument entwickelt, mit dem Haltung und Management in Liegeboxenlaufställen systematisch erfasst und objektiv bewertet werden können. Durch die Erfassung von tierbezogenen Kriterien und Indikatoren in Bezug auf Verhalten, Habitus und Stoffwechsel von Milchkühen werden Schwachstellen in Haltung und Management mithilfe einer standardisierten Analyse erkannt.