Landessortenversuche Wintergerste 2023

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Sortenversuche Wintergerste

Wintergerste wurde in Nordrhein-Westfalen zur Ernte 2023 auf etwa 138.000 ha angebaut. Die leichte Zunahme der Anbaufläche lässt sich wahrscheinlich auch auf die sehr guten Erträge und hohen Verkaufspreise der Ernte 2022 zurückführen. Die aktuelle Wintergerstenernte fiel für die meisten Landwirte erneut sehr zufriedenstellend aus.

Schlechter als im Vorjahr, aber besser als im langjährigen Mittel

Ausgehend von den bisher gemeldeten Erträgen lässt sich bereits zusammenfassend feststellen, dass die diesjährige Wintergerstenernte in Nordrhein-Westfalen zwar nicht auf dem Niveau von 2022 aber deutlich über dem langjährigen Mittel ausgefallen ist. Besonders in der Köln-Aachener Bucht lagen die Erträge vereinzelt sogar über denen des Vorjahres und auch vom Niederrhein sowie aus den süd- und ostwestfälischen Anbaugebieten wird von einer überdurchschnittlichen Ernte berichtet. Die aus dem Münsterland gemeldeten Erträge differenzieren zwischen einer überwiegend guten Ernte auf schwereren Böden und durchschnittlichen Ergebnissen auf leichteren Standorten, die von der hohen Winterfeuchte weniger profitieren konnten. Die erzielten Qualitäten waren leicht unterdurchschnittlich bis gut.

Die Wintergerstensaison war geprägt von einem ausgesprochen warmen Herbst, der dazu führte, dass sich auch zu standortüblichen Terminen gesäte Bestände sehr schnell und üppig entwickelten. Die teils überwachsenen Pflanzen wurden früh von Mehltau und Rhynchosporium befallen und litten vor allem auf leichteren Böden unter Stickstoff- und Manganmangel, wenn keine Düngung erfolgte. Während sich der Mehltau in anfälligen Sorten wiederholt ausbreitete und verschwand, hielt sich der Befall mit Rhynchosporium durch die feuchtkalte Witterung im Frühling dauerhaft im Bestand und bestimmte damit die erforderlichen Pflanzenschutzmaßnahmen. Bei der Kontrolle der Befallshäufigkeit ließen sich, anders als in den Vorjahren, deutliche Unterschiede in der Anfälligkeit der Sorten gegenüber Rhynchosporium feststellen. Dem nassen März und April folgte ein deutlich wärmerer Mai, der zu einem Wachstumsschub in der Wintergerste führte. Ab spätestens Juni waren besonders üppig entwickelte Bestände zunehmend auf die Wasserversorgung aus dem Boden angewiesen. Diese war auf mittleren und schweren Standorten fast immer ausreichend, auf leichten Böden hingegen wirkten sich regional ausbleibende Niederschläge teils negativ auf die Ertragsbildung aus. Lager oder zusammenbrechende Bestände traten wenn erst spät auf. Die Ernte begann im südlicheren Rheinland bereits im Juni und zog sich aufgrund zunehmender Niederschläge in einzelnen Regionen bis weit in die zweite Julihälfte.

Aus den Wertprüfungen kaum Neues

Winzer würden die letztjährige Wertprüfung für Wintergerste wahrscheinlich als „schlechten Jahrgang“ bezeichnen: Von insgesamt 20 mehrjährig geprüften Stämmen erhielten nur 5 eine Sortenzulassung nach landeskulturellem Wert. Keine der neu zugelassenen Sorten konnte durch eine gegenüber den Verrechnungssorten deutlich höhere Ertragsleistung oder bessere Krankheitsresistenzen überzeugen, sondern nur durch zusätzliche Virusresistenzen und/oder -toleranzen (SU Virtuosa, Integral) beziehungsweise eine besondere Braueignung. Auch die neu in die Landessortenversuche aufgenommene Hybridsorte SY Loona hat keine deutsche Zulassung erhalten, ist aufgrund der europäischen Zulassung aber vertriebsfähig. Die erstmals in den Landessortenversuchen geprüfte zweizeilige Sorte KWS Tardis stammt noch aus dem vorherigen deutlich besseren Wertprüfungsjahrgang.

Landessortenversuche 2023

Die insgesamt zufriedenstellende Wintergerstenernte spiegelt sich auch in den Ergebnissen der Landessortenversuche 2023 der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen wieder: Mit durchschnittlich 123,9 dt/ha (Nörvenich) und 122,2 dt/ha (Venrath) wurden in den Versuchen der rheinländischen Station Kerpen-Buir sogar etwas höhere Erträge erzielt als im Vorjahr, während die Erträge an den weiteren Standorten mit 83,3 dt/ha (Blomberg-Holstenhöfen) bis 121,4 dt/ha (Haus Düsse, Ostinghausen) meist deutlich geringer ausfielen. Die durchschnittlichen Ertragsverluste bei reduziertem Pflanzenschutzeinsatz (ohne Fungizide, verminderter Wachstumsreglereinsatz) reichten von 6% (Greven) bis 26% (Venrath) und resultierten aus einem breiten Krankheitsdruck. Zusätzlich zu den geplanten Bonituren wurde in den Versuchen auch die Vorwinterentwicklung und der Befall mit Mehltau im Herbst bewertet. Die mehrjährigen Auswertungen schließen für die länderübergreifenden Anbaugebiete zusätzliche Daten aus Niedersachsen und Hessen mit ein, um eine möglichst zuverlässige Sortenbewertung zu erhalten.

Sortenempfehlungen 

Die allgemeinen Sortenempfehlungen für die Aussaat im Herbst 2023 haben sich gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Die erneut guten Leistungen vieler 2-jährig geprüfter Wintergerstensorten führen aber dazu, dass diese zu einer Haupt- oder generellen Empfehlung aufsteigen, während einige ältere Sorten nur noch eingeschränkt oder unter bestimmten Anbauvoraussetzungen empfohlen werden.

SU Jule kann zur Ernte 2023 besonders in den Mittel- und Höhenlagen überzeugen. Obwohl die Sorte in den anderen Anbaugebieten mehrjährig nur leicht unterdurchschnittliche Kornerträge erzielt, bleibt die generelle Sortenempfehlung bestehen: SU Jule ist standfest, strohstabil und abgesehen von einer Schwäche gegenüber Mehltau im Frühling durchschnittlich blattgesund. Das Hektolitergewicht ist hoch.

KWS Orbit erzielt immer noch durchschnittliche Erträge und hat sich mehrjährig in allen Anbaugebieten als sehr ertragsstabil erwiesen. Aufgrund der hohen Anfälligkeit gegenüber Blattkrankheiten wird KWS Orbit zwar nur noch eingeschränkt empfohlen, bleibt für Betriebe die eine relativ frohwüchsige Sorte mit durchschnittlicher Abreife und mittlerer Strohlänge favorisieren aber noch eine Anbauoption.

SY Galileoo (Hy) hat sich mehrjährig als Standard bei den Hybridsorten bewährt und kann auch zur Ernte 2023 mit überdurchschnittlichen Erträgen in allen Anbaugebieten überzeugen. Die relativ spätreife Sorte ist im Vergleich zur jüngeren Sorte SY Dakoota (Hy) insgesamt etwas blattgesünder eingestuft, allerdings deutlich weniger standfest und strohstabil. Das Hektolitergewicht ist durchschnittlich.

Esprit kann zur Ernte 2023 nicht in allen Anbaugebieten an die mehrjährig sehr guten Ertragsleistungen anschließen, erzielte besonders auf den mittleren bis guten Lehmböden aber wieder ein gutes Ergebnis. Abgesehen von einer etwas höheren Anfälligkeit gegenüber Zwergrost zeigt die relativ spätreife Sorte keine besonderen Schwächen und bleibt daher eine Hauptempfehlung für alle Anbaugebiete.

Winnie und Teuto unterscheiden sich nur gering in der Ertragsleistung und den Anbaueigenschaften: Beide sind langstrohig, relativ spätreif, durchschnittlich blattgesund (mit einer Schwäche gegenüber Rhynchosporium) und erzielen bei ausreichender Wasserversorgung gute Erträge. Auf leichten Böden sind andere Sorten zu bevorzugen. Winnie ist als jüngere der beiden Sorten etwas frohwüchsiger, standfester und strohstabiler als Teuto und erreicht durchschnittlich ein höheres Hektolitergewicht.

SY Dakoota (Hy) kann auch im zweiten Jahr der Prüfung in den Landessortenversuchen überzeugen und löst daher die ältere und etwas spätreifere SY Galileoo als Hauptempfehlungen für Hybridsorten ab. SY Dakoota erzielte sowohl zur Ernte 2023 als auch mehrjährig sehr hohe Kornerträge in fast allen Anbaugebieten und ist im Vergleich zu den meisten anderen Hybridsorten deutlich standfester und strohstabil. Das Hektolitergewicht ist überdurchschnittlich.

Bordeaux (zz) und KWS Tardis (zz) sind Sortenempfehlungen für Betriebe, die den Anbau einer zweizeiligen Sorte anstreben. Bordeaux ist mehrjährig geprüft und erzielte in der Köln-Aachener Bucht mehrjährig durchschnittliche, in den anderen Anbaugebieten aber nur unterdurchschnittliche Kornerträge. Die höchsten relativen Ertragsleistungen wurden in den für Wintergerste schwächeren Jahren 2020 und 2021 erzielt, während in den ertragsreichen Jahren 2022 und 2023 ein deutlich größerer Ertragsnachteil gegenüber den mehrzeiligen Sorten bestand. Bordeaux ist relativ standfest und strohstabil und erreicht zuverlässig ein hohes Hektolitergewicht, Die erst 1-jährig geprüfte Sorte KWS Tardis erzielte zur Ernte 2023 annähernd identische Erträge und Qualitäten und wird aufgrund der geringeren Anfälligkeit ge- genüber Rhynchosporium und Ramularia für den Anbau einer zweizeiligen Sorte zur Probe empfohlen. Als ausgesprochen blattgesunde Alternative zu den genannten Sorten ist SU Laubella (zz) zu nennen.

SY Loona (Hy) präsentierte sich zur Ernte 2023 als etwas ertragsstabiler aber nicht ertragreicher als die langjährig empfohlene SY Galileoo. Auch hinsichtlich der Standfestigkeit, Strohstabilität und Blatt- gesundheit ließen sich bisher keine deutlichen Vorteile gegenüber den anderen Hybridsorten ermitteln. SY Loona wird weiter geprüft, ist aktuell aber nur eine Alternative zu SY Galileoo und SY Dakoota.

Als weitere Sorten, die zumindest für einzelne Anbaugebiete empfohlen werden können, sind für die süd- und ostwestfälischen Anbaugebiete die Sorten Melia (leicht überdurchschnittliche Erträge, durchschnittliche Anbaueigenschaften) und KWS Morris (schwankende Erträge, relativ standfest und blatt- gesund) zu nennen. Auf den leichteren Böden des Münsterlands erzielte die Sorte Viola (standfest, relativ anfällig gegenüber Mehltau und Zwergrost) zur Ernte 2023 ein gutes Ergebnis. KWS Higgins und die besonders im Rheinland noch häufiger angebaute Sorte Quadriga werden nicht mehr empfohlen.

Standardsorten nicht nur bei GMV2-Besatz

Der Anbau von Wintergerstensorten mit zusätzlicher Resistenz gegenüber dem Gelbmosaikvirus Typ 2 (GMV2) blieb lange auf Standorte beschränkt auf denen ein Besatz mit dem Virus zumindest vermutet wurde. Aufgrund des deutlichen Zuchtfortschritts im GMV2-resistenten Sortiment lassen sich die aktuell geprüften Sorten allerdings auch für den Anbau auf Standorten ohne GMV2-Besatz empfehlen. Als gemeinsame Schwäche der meisten GMV2-resistenten Sorten zeigte sich besonders in diesem Jahr eine höhere bis hohe Anfälligkeit gegenüber Rhynchosporium. Die erzielten Hektolitergewichte sind oft unterdurchschnittlich aber insgesamt höher als bei den meisten älteren GMV2-resistenten Sorten.

SU Midnight (GMV1+2) bestätigt auch zur Ernte 2023 das leicht überdurchschnittliche Ertragsniveau der vorherigen Sortenprüfungen und bleibt damit eine Hauptempfehlung für alle Standorte mit GMV2- Besatz. SU Midnight entwickelt sich im Herbst etwas träger als andere Sorten und ist relativ standfest, aber nicht besonders strohstabil. Die Anfälligkeit gegenüber Mehltau ist sowohl im Herbst als auch im Frühling gering. Allerdings zeigte sich spätestens in diesem Jahr, dass SU Midnight deutlich anfälliger gegenüber Rhynchosporium ist als es die ursprüngliche Sortenbeschreibung erwarten ließ.

Avantasia (GMV1+2) präsentiert sich auch im zweiten Prüfjahr als die empfindlichere kleine Schwester von Julia. Aufgrund der gegenüber den meisten älteren Sorten höheren Kornerträge wird die Sorte aber generell für den Anbau in allen Niederungslagen empfohlen. Avantasia ist noch etwas frühreifer und kurzstrohiger als KWS Orbit und überdurchschnittlich standfest. Aufgrund der geringeren Strohstabilität und höheren Anfälligkeit gegenüber Netzflecken, Ramularia und Zwergrost ist die Sorte auf einen an en Befallsdruck angepassten Pflanzenschutzeinsatz angewiesen um ihr Ertragspotential zu realisieren.

Julia (GMV1+2) kann in allen Niederungslagen mit hohen Kornerträgen überzeugen, und nur in den nordrhein-westfälischen Mittel- und Höhenlagen nicht ganz an die guten Ergebnisse des Vorjahres anschließen. Mehrjährig und länderübergreifend betrachtet erreicht die Sorte auch in diesem Anbaugebiet ähnliche Erträge wie die besten Standardsorten und durchschnittlich fast das Ertragsniveau der aktuell geprüften Hybridsorten. Julia ist standfest, durchschnittlich strohstabil und im Vergleich zu Avantasia und älteren Sorten wie KWS Orbit deutlich weniger anfällig für Blattkrankheiten. Auch bei reduziertem Pflanzenschutzeinsatz sind die zu erwartenden Ertragsverluste begrenzt. Die neue Hauptempfehlung!

SU Hetti (GMV1+2) kann ertraglich zwar nicht ganz mit den aktuellen Hauptempfehlungen mithalten, überzeugt aber durch eine sehr hohe Standfestigkeit und Strohstabilität. Die Sorte präsentierte sich im Herbst als etwas weniger anfällig gegenüber Mehltau als erwartet. SU Hetti erreicht zwar eine gute Sortierung, erzielt allerdings nur ein unterdurchschnittliches Hektolitergewicht.

Sorten tolerant gegen Gerstengelbverzwergungsviren

Gerstengelbverzwergungsviren im eigentlichen Sinn (GVV = BYDV) werden von verschiedenen Blattläusen übertragen und können abhängig vom Befallsgrad und dem anschließenden Witterungsverlauf zu erheblichen Ertragsverlusten führen. Aufgrund des fortschreitenden Klimawandels und der daraus resultierend höheren Blattlausaktivität sowie der immer häufigeren „Grünen Brücken“ wird der Befallsdruck zukünftig eher zu- als abnehmen. Obwohl sich die Befallsintensität durch eine gezielte chemische Bekämpfung der Vektoren reduzieren lässt, ist zu erwarten, dass mittelfristig auch die Sortenwahl einen Beitrag zum integrierten Pflanzenschutz gegen Gerstengelbverzwergungsviren wird leisten müssen.

Daher werden in den nordrhein-westfälischen Landessortenversuchen aktuell bereits 4 Sorten geprüft, die gegenüber dem in Mitteleuropa häufigsten Stamm der Gerstengelbverzwergungsviren (BYDV-PAV) quantitativ resistent und tolerant sind. Die als GVV-tolerant beschrieben Wintergerstensorten verringern die Vermehrung von GVV-PAV in der Pflanze, verzögern die Ausbreitung im Bestand und reagieren bei einem Befall deutlich weniger empfindlich als anfällige Sorten. Aufgrund der geringeren Kornerträge und der oft schlechteren Anbau- und/oder Qualitätseigenschaften konnten sich die meisten GVV-toleranten Sorten trotz teils intensiver Bewerbung bisher nicht großflächig und dauerhaft im Anbau etablieren:

KWS Exquis (GVV) erzielt auch im zweiten Prüfjahr nur unterdurchschnittliche Kornerträge, überzeugt aber mit einer im Vergleich zu den meisten älteren GVV-toleranten Sorten besseren Strohstabilität und Blattgesundheit. KWS Exquis ist kurzstrohig, relativ frühreif und bildet den Ertrag vorwiegend über eine höhere Bestandesdichte. Das Hektolitergewicht ist durchschnittlich.

Integral (GVV) erzielte in den Wertprüfungen in der Köln-Aachener Bucht deutlich bessere Erträge als KWS Exquis und wird daher für dieses Anbaugebiet bereits bevorzugt empfohlen. Ansonsten scheint das Ertragspotential der beiden Sorten relativ ähnlich und es bleibt abzuwarten, ob sich in den folgenden Prüfjahren bestimmte regionale Sortenempfehlungen ergeben. Integral ist im Vergleich zu KWS Exquis deutlich frohwüchsiger, allerdings auch anfälliger gegenüber Mehltau und Zwergrost.

Sensation (GMV1+2, GVV) hat nach dem anfänglichen Hype aufgrund der neuartigen Kombination von GMV2-Resistenz und GVV-Toleranz bereits wieder an Anbaubedeutung verloren, da auch diese Sorte nicht das Ertragsniveau der durchschnittlichen Standardsorten erreicht. Darüber hinaus stellte sich Sensation relativ schnell als weniger standfest und strohstabil heraus als vom Züchter beschrieben. Aufgrund der im Vergleich zu KWS Exquis und Integral insgesamt schlechteren Anbaueigenschaften wird Sensation daher nur noch für Standorte mit GMV2-Besatz bevorzugt empfohlen.

Die genannten Sorten sind zwar tolerant gegenüber Gerstengelbverzwergungsviren (BYDV-PAV), nicht aber gegen Weizen- oder Gerstenverzwergungsviren (WDV, BDV). Diese werden von Zwergzikaden übertragen, die sich mit chemischen Pflanzenschutzmaßnahmen kaum bekämpfen lassen. Da sich die Befallssymptome optisch kaum unterscheiden, lässt sich deren Ursache nur über eine Labordiagnose bestimmen. Darüber hinaus ist bei einem starken Befall und abhängig vom Witterungsverlauf auch bei Gerstengelbverzwergungsviren nicht auszuschließen, dass die GVV-toleranten Sorten mit gegenüber den Standardsorten allerdings deutlich geringeren Ertragsverlusten reagieren. Auch deshalb gilt es auf extreme Frühsaaten zu verzichten und den Saattermin an die regionalen Bedingungen anzupassen.

Normalsaat, Spätsaat, extreme Spätsaat?

Dass eine gegenüber dem vermeintlich optimalen Saattermin spätere Aussaat der Wintergerste nicht zwingend zu Ertragsverlusten führt bestätigen sowohl die Rückmeldungen aus der Praxis als auch die langjährigen Spätsaatversuche der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Mehr noch entwickelten sich in der vergangenen Saison nicht nur Frühsaaten sondern auch viele Normalsaaten infolge der warmen Herbstwitterung sehr üppig und litten unter einem höheren Krankheitsdruck und gelegentlich auch Nährstoffmangel. Wintergerstenbestände die später als standortüblich gesät wurden präsentierten sich im Frühling meist deutlich blattgesünder und oft auch standfester als frühere Aussaaten.

Die Ergebnisse der Spätsaatversuche bestätigen die Praxis: Sowohl in Kerpen-Buir (Nörvenich) als auch in den Versuchen auf Haus Düsse (Ostinghausen) lagen die Kornerträge bei einer gegenüber dem Landessortenversuch etwa 2 Wochen späteren Aussaat auf dem gleichen Niveau. Am dritten Standort Blomberg-Holstenhöfen (Mittel- und Höhenlagen) wurde im Spätsaatversuch ein durchschnittlich 10,6% geringerer Ertrag gegenüber dem Landessortenversuch ermittelt. Der durchschnittliche Ertragsverlust in einem für den LWK NRW Feldtag 2023 auf Haus Düsse angelegten extremen Spätsaatversuch (Saattermin: 02.11.2022) gegenüber dem 4 Wochen früher gesäten Landessortenversuch lag bei 14,2%. Geprüft wurden die Sorten SY Galileoo (Hy), Esprit, SU Midnight (GMV1+2) und SY Loona (Hy).

Mehrjährig betrachtet wurden in den nordwestdeutschen Spätsaatversuchen durchschnittliche Ertragsverluste von 2,1% (2022) bis 11,8% (2019) ermittelt. Mindererträge traten vor allem dann auf, wenn sich durch den späteren Saattermin auch die Aussaatbedingungen verschlechterten. Bei günstiger Witterung hingegen waren die Ertragsunterschiede gegenüber einer Aussaat zum vermeintlich optimalen Termin nur selten signifikant. Da bereits eine 1-2 Wochen spätere Aussaat der Wintergerste deutliche Vorteile im Hinblick auf die Ungrasbekämpfung, den Krankheitsdruck und einen möglichen Befall mit Getreideviren bietet, gibt es bei günstiger Wettervorhersage nur wenige Argumente gegen eine Spätsaat.

Latitude XL auch in der Wintergerste?

Als zusätzliche Variante wird in den Landessortenversuchen mit Wintergerste auch die Wirkung einer Beizung mit Latitude XL untersucht. Dabei wurde im Zeitraum von 2019 bis 2022 ein durchschnittlicher Mehrertrag nach Getreidevorfrucht von 1,1 dt/ha ermittelt. Auf einzelnen Standorten mit hohem Befallsdruck lagen die Ertragsvorteile bei bis zu 9,0 dt/ha (statistisch nicht abgesichert), mindestens ebenso häufig ließ sich aber keine positive Wirkung nachweisen. Möglicherweise begünstigt durch die warme Herbstwitterung konnte in den Versuchen zur Ernte 2023 in der Variante „KWS Orbit + Latitude XL“ an 6 Standorten mit Getreidevorfrucht ein durchschnittlicher Mehrertrag von 5,5 dt/ha ermittelt werden. Die abschließende Auswertung des Schwarzbeinigkeitsbefalls steht zwar noch aus, dennoch stellt sich für viele Betriebe aktuell die Frage, ob sie für die bevorstehende Aussaat der Wintergerste mit Latitude XL gebeiztes Saatgut bestellen sollen. Auf regelmäßigen Befallsstandorten, vor allem in den Mittel- und Höhenlagen, bei pflugloser Aussaat nach Getreidevorfrucht und frühen Saatterminen hat sich auch mehrjährig gezeigt, dass eine zusätzliche Beizung mit Latitude XL zu deutlichen Ertragsvorteilen führen kann. Dies gilt besonders in Jahren mit einem warmen und feuchten Herbst bis Frühling und späteren Trockenphasen, in denen sich ein schlecht entwickeltes Wurzelsystem sehr negativ auf die Wasser- und Nährstoffaufnahme auswirkt. Ausgehend von aktuellen Marktpreisen muss für eine wirtschaftliche Anwendung von Latitude XL ein regelmäßiger Mehrertrag von mindestens 2,3 dt/ha realisiert werden.

Autor: Johannes Roeb, Heinz Koch, Landwirtschaftskammer NRW